[ PORTRÄT ]
PDG des Weinguts Château Angelus // Frankreich

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Begegnung mit Stéphanie de Boüard-Rivoal
"Man ist nie so objektiv wie bei der Verkostung eines Weins, über den man nichts weiß."
Seit 2012 leitet Stéphanie de Boüard-Rivoal in achter Generation das prestigeträchtige Château Angelus, einen legendären Grand Cru in Saint-Émilion.
Sie ist die Erbin einer jahrhundertealten Weinkultur, Glied einer Kette, Hüterin der Familiengeschichte. Es fehlt nicht an Worten, um das Vermächtnis der Vergangenheit zu beschreiben. Doch möchten wir hier vor allem die dynamische Visionärin vorstellen, die wir heute kennenlernen durften.
Durch die Verfeinerung und Verbesserung der Weinstile, die Diversifizierung im Hotel- und Gaststättengewerbe und die Einführung eines umweltbewussten Ansatzes entwirft sie einen Weg, der einen anspruchsvollen Dialog von Tradition und Innovation ermöglicht und dabei das Wesentliche niemals aus den Augen verliert: die Exzellenz.
Begegnung rund um die Kunst, die Zeit herauszufordern, wenn große Weine mitunter in aller Demut sagen: „Die Zukunft wird es zeigen“.


Fällt Ihnen eine Kindheitserinnerung ein, die Ihre Beziehung zum Wein geprägt hat?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Da fällt mir eher eine Art Ritual als eine präzise Erinnerung ein. Als Kinder ließ uns unser Vater beim sonntäglichen Mittagessen am Bouquet der Weine schnuppern, die er kredenzte. Mit 7 oder 8 Jahren durften wir bereits am Wein nippen. So wurden wir schon sehr früh mit einer Kultur des Weins bekannt gemacht.

Und welches Weinritual lassen Sie heute weiterleben?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Das Ritual der Blindverkostung, eine sowohl amüsante als auch lehrreiche Weinverkostung. Man ist nie so objektiv wie bei der Verkostung eines Weins, über den man nichts weiß, und diese Vorgehensweise ist auch eine Übung in Bescheidenheit, da Fehlurteile an der Tagesordnung sind.

Seit Sie die Leitung des Familienunternehmens im Jahr 2012 übernommen haben, setzen Sie sich dafür ein, Innovationen in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen. Wie gelingt es Ihnen, diesen Ansatz mit der Tradition in Einklang zu bringen?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
So wie wir es schon immer getan haben, nämlich auf die natürlichste Art und Weise. Wir übernehmen die bewährten Methoden der Vergangenheit und schauen, welche positiven oder vielversprechenden Ansätze Innovationen bieten, während wir gleichzeitig den wunderbaren Lebensraum, für den wir verantwortlich sind, bewahren wollen. Und auf eine wiederum sehr natürliche Art und Weise ist es uns stets eine Herzensangelegenheit, uns um die Umgebung zu kümmern, die uns umgibt, in der unsere Kinder aufwachsen und in der unsere Teams einen Großteil ihrer Zeit verbringen.

Dieses Bewusstsein geht mit einer Weiterentwicklung des Stils der Cuvées einher.
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Genau, aber in maßvoller und angemessener Weise, da wir nicht zu sehr von dem abweichen wollten, was die Einzigartigkeit und Größe unserer Weine ausmacht. Wir haben einfach versucht, mehr Frische und mehr Spannung in den Wein zu bringen, vor allem durch sanftere Extraktionen – die aber nicht unbedingt weniger ausgefeilt sind - und einen Ausbau, bei dem der Anteil an neuem Holz leicht reduziert wird. Das Ergebnis ist eine subtile Entwicklung, die einen Wein hervorbringt, der generell etwas präziser, frischer und straffer ist, ohne dabei an Komplexität oder Tiefe einzubüßen.

Ein perfektes Beispiel dafür wäre wohl Ihre kürzlich kreierte Cuvée „Le Majestueux“.
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Diese Cuvée steht meiner Meinung nach für eine gewisse Vorstellung von dem, was der Perfektion am nächsten kommt, und sie ist gleichzeitig ein Meilenstein in der Geschichte des Weinguts. Es könnte sogar sein, dass es sich hier um den großartigsten Wein handelt, den wir je produziert haben. Die Zukunft wird es zeigen. Dieser Wein ist der Inbegriff von Ausgewogenheit, Intensität, Präzision, Reinheit, Frische und Spannung. Er ist der Archetyp eines großen Weins, der es mit der Zeit aufnehmen kann.

Er ist der Archetyp eines großen Weins, der es mit der Zeit aufnehmen kann.


Bereiten Sie die neunte Generation darauf vor, die Familientradition fortzuführen?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Obwohl diese Vorstellung noch in weiter Ferne liegt und damit naturgemäß noch sehr ungewiss ist, bereiten wir unsere noch sehr jungen Kinder - unser ältester Sohn ist 9 Jahre, der mittlere Sohn 7 Jahre und unser jüngster Sohn noch nicht einmal 1 Jahr alt - in gewisser Weise darauf vor, indem wir sie an unserem Alltag teilhaben lassen. Sie nehmen beispielsweise an der Weinlese teil, laufen regelmäßig durch unsere Weinkeller, interessieren sich für die Geschichte unserer Familie und probieren manchmal ein kleines Schlückchen Wein. Kurz gesagt schaffen wir eine Atmosphäre, die bei ihnen Interesse und Neugierde weckt, sodass sie mit der Schönheit und Einzigartigkeit dieses Weinguts aufwachsen, das für sie „das Haus der Glocken“ heißt.

Obendrein haben Sie das Restaurant Le Gabriel in Bordeaux übernommen und einen Bauernhof in Saint-Loubès aufgebaut.
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Alle diese Aktivitäten ergänzen sich einander, da sie Teil eines Gesamtkonzepts sind, das in gewisser Weise die Herstellung großer Weine fortschreibt, und sich rund um die Gastronomie und die Produktion im Dienste eben dieser Gastronomie entfaltet. Diese Aktivitäten, für die eine recht offensichtliche Übereinstimmung besteht, profitieren voneinander.

Was bedeutet der Weinkeller für Sie?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Wir haben einen recht ansehnlichen Weinkeller, der sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat. Zuerst waren da die Weine, die mein Vater und mein Schwiegervater uns geschenkt haben, dann kamen Käufe und Tauschgeschäfte mit befreundeten Winzern dazu. Dieser Weinkeller wird von uns ständig angereichert und wir achten darauf, dass die Neuzugänge immer die Entnahme übersteigen. Wir legen diesen Keller mit großartigen Weinen an, um ab und an eine Flasche in geselliger Runde zu genießen, aber auch oder vielleicht sogar vor allem, damit unsere Kinder und deren Nachkommen noch viele Jahrzehnte lang edle, gut gereifte Weine trinken können und dabei an uns denken. In einem schönen Weinkeller steckt zweifellos die Idee der Weitergabe, des Teilens, des Austauschs und natürlich des Genusses.


Wir legen diesen Keller mit großartigen Weinen an, um ab und an eine Flasche in geselliger Runde zu genießen, aber auch oder vielleicht sogar vor allem, damit unsere Kinder und deren Nachkommen noch viele Jahrzehnte lang edle, gut gereifte Weine trinken können und dabei an uns denken.

In diesem Weinkeller lagern also nicht nur Weine aus dem Bordelais...
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
In diesem Weinkeller lagern sehr viele verschiedene Weine. Wir haben selbstredend großartige Weine aus dem Bordelais, aber auch viele Weine aus der Champagne und dem Burgund, dem Loire- und Rhônetal, der Provence und dem Languedoc, sowie Weine aus Spanien, Italien, Österreich und Deutschland, Kalifornien, Oregon, Australien oder Südafrika, Chile, Argentinien usw. Kurz gesagt, wir haben Weine aus allen Gegenden, wo man Wein produziert, sogar aus Georgien, der Wiege des Weinbaus, wo die Rebsorte Saperavi einfach fantastische Weine hervorbringt. Japan überzeugt vor allem mit seinen erstaunlichen und exquisiten Chardonnay-Weinen.

Zu welcher Fraktion gehören Sie? Sind Sie eher Sammlerin, Neugierige oder Genießerin?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Ich bin sicher etwas von allem, das hängt vom Kontext ab. Wir wählen vor allem Weine hoher Qualität aus, die mehrere Jahrzehnte lang gelagert werden können. Und wir wählen alle Arten von Weinen aus, auch solche, die wir nur bedingt mögen, von denen wir aber wissen, dass sie großartig sind und von denen wir uns sagen, dass unsere Kinder sie vielleicht schätzen werden. In unserem Weinkeller lagern meines Wissens nach 20-25 % trinkreife Weine und 75-80 % Weine, die noch reifen müssen und von denen wir die meisten frühesten in einem Jahrzehnt öffnen werden.

Der Öffnung welchen Weins aus Ihrem Weinkeller sehen Sie mit Spannung entgegen?
STÉPHANIE DE BOÜARD-RIVOAL
Es gibt viele Weine in unserem Keller, auf deren Öffnung wir mit Spannung warten. Wenn ich nur fünf nennen müsste, dann wären das ein Château Angelus 1961, ein Château Margaux 1983, ein Clos du Mesnil 1988, ein Clos La Néore 1996 und ein Romanée-Conti 2008 (Jahrgang unserer Hochzeit, den wir wahrscheinlich 2028 öffnen werden). Kurzfristig gesehen bin ich schon sehr auf den Impériale d'Angelus 1997 gespannt – in diesem Jahr haben mein Mann und ich uns kennengelernt –, den wir anlässlich der Taufe unseres jüngsten Kindes öffnen werden.
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